Aus gegebenem Anlass ein kurzer Auszug aus Marc Uwe Klinkg’s „Die Känguru Chroniken“ zu Sport und Nationalismus:
„Meiner Ansicht nach gibt es keinen gesunden Patriotismus“, sagt das Känguru. „Im Gegenteil. Patriotismus scheint immer ein Zeichen von Idiotie zu sein.“
Natürlich sagt es das nicht irgendwo. Sondern während der öffentlichen Live-Übertragung eines Fußballländerspiels. Natürlich sagt es das nicht zu irgendwem, sondern zu einem Typ in einem schwarz-rot-goldenen Flaggenumhang, mit einer schwarz-rot-goldenen Narrenkappe auf dem Kopf und einem komplett schwarz-rot-gold gestrichenen Gesicht.
„Es gibt also nur kranken Patriotismus“, fährt das Känguru fort. „Gesunder Patriotismus klingt für mich ein bisschen wie – gutartiger Tumor -. Es ist vielleicht nicht direkt lebensgefährlich, aber es ist immer noch ein Tumor.“
„Ey, du bist ja voll krank!“, sagt unserer schwarz-rot-goldener Freund und lacht.
„Nein. Aber du vielleicht“, sagt das Känguru todernst. „Deshalb würde ich gern eine Vorsorgeuntersuchung mit dir machen, denn auf so einen gutartigen Tumor muss man höllisch aufpassen, sonst mutiert der eines Nachts unbemerkt zu einem bösartigen.“
„Du musst noch erwähnen, dass die Krebsvorsorge von der Kasse aber nicht bezahlt wird!“, sage ich. „Der Staat hilft erst, wenn`s zu spät ist.“
„Ey, seid ihr etwa für die anderen?“, fragt unser Patient nun verwirrt.
„Keineswegs“, sagt das Känguru. „Aber deine Frage ist schon symptomatisch für das Konkurrenzdenken, das mit dem…“
„Wir putzen euch weg!“, ruft der Fahnenmann dazwischen. „Olèèèèè, olè, olè, olèèèèè!“
Das Känguru fächelt sich Luft zu.
„Die Fahne in der Hand geht oft einher mit der Fahne aus dem Mund“, sagt es zu mir in einem Tonfall, als wäre es Chefarzt und ich Medizinstudent im ersten Semester. „Der Patriotismus hat ja, was unter Onkologen unstrittig ist, einen kleinen, fiesen Bruder namens Nationalismus, welcher unbemerkt im Schatten seines Bruders wächst und gedeiht, bis er groß genug ist, selbst nach der Macht zu greifen. Oder anders ausgedrückt: Nur in einem patriotisch aufgeheizten Treibhaus kann Rassismus gedeihen. Deshalb muss ein wirklicher Antifaschismus dieses Treibhaus zerschlagen.“
„Ach. Ihr habt wohl immer noch so ein gestörtes Verhältnis zur Geschichte“, sagt unser Patient.
„Au contraire!“, ruft das Känguru. „- Sechzig Millionen Tote. Na ja. Schwamm drüber –, das nenne ich ein gestörtes Geschichtsverhältnis.“
„Ich glaube, du musst das einfach etwas entspannter sehen“, sagt der junge Mann. „Ist doch nur Spaß.“
„Ach, ich sehe das ganz entspannt“, sagt das Känguru. „Ich sehe das sogar viel entspannter als du. Soll ich dir es beweisen?“
Es holt ein Feuerzeug und ein kleines schwarz-rot-goldenes Cocktail-Fähnchen aus seinem Beutel.
„Ey nee, oder?“, fragt unser Patient ungläubig.
„Siehst du, wie entspannt ich bin?“, fragt das Känguru und zündet das Feuerzeug. „Wie furchtbar entspannt ich bin… Für mich ist das nur ein Stückchen Papier.“
Das Känguru verbrennt das Minifähnchen und schnippt den verkohlten Zahnstocher in die Luft. Der Typ starrt erst noch einen Moment fassungslos auf das Feuerzeug und bringt dann schnell seinen Umhang aus der Reichweite des Kängurus.
„Du scheinst mir eher verkrampft“, sagt das Känguru. „Für mich besteht kein erhöhtes Infarktrisiko, nur weil ich der sportlichen Betätigung mir persönlich nicht näher bekannter Werbebannerträger televisionär beiwohne.“
Ich kann sehen, wie das Blut in den Schläfen unseres Patienten pulsiert und ein Äderchen in seinem Auge platzt.
„Weißt du…“, sagt das Känguru. „Ich habe noch nie jemanden mit einer Fahne in der Hand etwas Intelligentes sagen hören.“
Es macht eine kurze Pause. „Willst du das ändern?“
Mühsam kontrolliert der Patient seine Atmung.
„Willst du nichts dazu sagen?“, fragt das Känguru. „Vielleicht olè, olè?“
„Willst du dich prügeln, oder was?“, schreit der Angesprochene. „Warum schiebst du hier so ’ne Provo-Nummer? Willst du eins aufs Maul?“
„Nein tut mir leid“, sagt das Känguru.“Das war auch nichts sonderlich Intelligentes.“
Dann holt es den Boxhandschuh aus seinem Beutel und schlägt den Typ k.o.
„Alter!“, sage ich leicht verärgert. „Du kannst doch nicht einfach immer die Leute umhauen!“
„Wieso nicht?“, fragt das Känguru. „War doch sein Vorschlag.“
„Ey! Was ist denn mit dem Großen passiert?“, fragt der Bruder unseres ohnmächtigen Patienten, der mit zwei Flaschen in der Hand vom Biercontainer wiederkommt.
„Das war einer von den Polen“, sagt das Känguru und deutet auf eine Gruppe polnischer Fans, die ganz in der Nähe stehen. Der Neue winkt seinen Freunden, und sie preschen in die Richtung, die ihnen das Känguru gewiesen hat.
„Quod erat demonstrandum“, sagt das Känguru altklug. „Schon marschieren sie gen Polen.“
Da tippt der kleine Bruder dem Känguru von hinten auf die Schulter.
„Die Polen sagen, du warst das.“
Das Känguru dreht sich um.
„Es handelte sich hier um eine reine Vorsorgeuntersuchung, meine Herren“, sagt das Känguru. Unvermittelt deutet es auf die Leinwand und schreit: „Kuckt mal! Ein Tor!“
Alle Köpfe wenden sich dem Spiel zu. Eine Sekunde später ist das Känguru in der Menge verschwunden.
„Ähm. Also. Ich steh hier nur zufällig rum“, sage ich.