Bericht über Remagen 2016

Er ist vorbei, der große Tag. Nach wochenlanger Bündnisarbeit, Vorbereitungstreffen, Schreiben von Flyern und Texten, waren wir doch nur wenige Stunden in Remagen. Trotzdem haben wir ein wichtiges Zeichen gesetzt.

Als ASJ haben wir einen Redebeitrag auf der Demo des Bündnisses „NS-Verherrlichung stoppen“ gehalten, den wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen:

Liebe Menschen,

Wir haben lange überlegt, worüber wir schreiben möchten und worüber ich heute reden werde. Seit Jahren zeigt sich das gleiche Schauspiel – nicht nur in Remagen. Neonazis, Polizist*innen, Antifaschist*innen und das, was sich selbst „Zivilgesellschaft“ nennt, geben sich auf dem Parkett die Hand und tanzen ihre vorbestimmten Figuren. Trauermarsch, Gegenproteste, Meile der Demokratie und Blaulicht – und die Bewegungen der Akteur*innen versprechen keine unerwarteten Wendungen.

Viel ist in den letzten Jahren schon gesagt worden und manches davon kann nicht oft genug wiederholt werden. Geschichtsrevisionismus, Täter-Opfer-Umkehr und die Verklärung völkischer Ideologien halten sich seit Jahren nicht nur in der Rechten, sondern finden bis weit ins bürgerliche Spektrum Anhänger*innen. Es ist absolut notwendig, dass dies immer wieder angegriffen wird. Und so stehen wir auch dieses Jahr wieder hier, um Geschichtsrevisionist*innen und Neonazis weder die Straße, noch die Öffentlichkeit zu überlassen.

Viel ist in den letzten Jahren und auch heute schon gesagt worden und häufig fiel die Forderung, sich zu erinnern. Was heißt es, dieses Erinnern? Darüber möchte ich reden.

Denn erinnern, an irgendwen oder irgendwas, das machen alle Akteur*innen, die sich heute hier auf der Tanzfläche bewegen (die Polizei vielleicht einmal ausgenommen). Die Faschisten erinnern sich ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Toten, die SPD schwelgt beim Würstchengrillen in Erinnerung an jene Zeiten als sie noch widerständig waren und auch wir wollen uns erinnern. Nämlich an jene Menschen, die im Nationalsozialismus und dem sich anschließenden Rechtsterrorismus in der BRD ermordet wurden.

Die Erinnerungskultur, wie sie in Deutschland gepflegt wird, ist eine Kultur des Vergessens.

Dass die Faschisten sagen können „wir hatten Tote zu beklagen“ mahnt dazu, ein reines Rezipieren von Fakten nicht als Erinnerungskultur auch nur in Betracht zu ziehen. Trockene Fakten, die Wiederholung und das Rezipieren der Vergangenheit durch auswendig gelernte Zahlen und Daten zeichnet doch nur Zerrbilder die häufig grotesk und weit weg anmuten, als hätten sie nichts mit uns zu tun.

Es geht um Historisierung, um eine ritualisierte, kollektivierte Erinnerung, um radikale Entkontextualisierung, die keinesfalls dem Zweck dient, die Shoa zu analysieren und ihre Entstehungsbedingungen ernsthaft zu ergründen, um ein solches Geschehen in Zukunft verhindern zu können. Ganz im Gegenteil dient es dem identitären Bewusstsein einer Nation als Entschuldigung für den Wunsch nach Vergessen, welcher nur aufgrund der Ungeheuerlichkeiten der Verbrechen nicht all zu leicht abgetan werden kann. Damit trägt der Versuch, das Geschehen des nationalsozialistischen Massenmordes zu historisieren, stets das Moment des Vergessens in sich.

Die Erinnerungskultur, wie sie in Deutschland gepflegt wird, ist eine Kultur der Erinnerungslosigkeit. Es gibt eine Fülle an Daten zur neuen Geschichte, eine Masse an Dokumentationen und Aufzeichnungen. Ein Mensch kann lernen und lernen und sich erinnern und erinnern, fehlt ein kritisches Nachdenken, bleibt er zwar informiert, jedoch erinnerungslos. Diese Erinnerungslosigkeit hat die Deutschen seit dem 2. Weltkrieg vollständig erfasst.

Als Adenauer bereits 1946 wieder verkündete, noch nie so Stolz ob seiner deutschen Herkunft gewesen zu sein und als der „Nationale Gedenktag des deutschen Volkes“ in der Bundesrepublik Deutschland 1954 dem Volksaufstand in der DDR gewidmet wurde, da feierte die Erinnerungslosigkeit der Deutschen ihre Sternstunden.

In einer solchen Erinnerungskultur trägt die Erinnerung keinerlei Erschütterungen mehr in sich. Das Ungeheuerliche ist nicht in die Menschen eingedrungen, es ist nicht zur Maxime geworden, dass sich niemals wiederhole was war.

Das Klima, welches am Meisten dazu geneigt ist, die Vergangenheit zu vergessen ist der wiedererwachende Nationalismus. „Damit Deutschland wieder stark wird.“ Als Wirtschaftsstandort, als Klimaschutzvorreiter, als Nation. In einer Welt, die lediglich auf den Erhalt einer Neo/Ordoliberalen Weltordnung ausgerichtet ist, bildet weder die Zukunft, noch die Vergangenheit, sondern das Hier und Jetzt die Orientierungshilfe. Ohne Blick auf das Vergangene und ohne Wunsch für die Zukunft bleibt die Erinnerungslosigkeit und die individualisierte Befriedigung von Trieben und Bedürfnissen. Je mehr sich die Deutschen der Nation positiv annähern, je mehr sich die Gesellschaft in die Kontinuitäten der Nationalgeschichte fügt, desto schwächer wird die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine Verbrechen.

Eine kritische Analyse ist von Nöten. Man muss die Mechanismen erkennen, welche die Menschen zur Vernichtung fähig machen, muss ihnen selbst diese Mechanismen aufzeigen und versuchen zu verhindern, dass sie abermals so werden, indem man ein allgemeines Bewusstsein dieser Mechanismen erweckt.

Wenn wir hier heute auf die Kontinuität des Vernichtungswillen von Nationalsozialisten hinweisen, ist das etwas Anderes. Wir setzten Vergangenheit und Gegenwart in einen Zusammenhang. Diese Frage nach dem Zusammenhang, nach Ursprung, Ursache, Wirkung und Dialektik – denn was ist ein Text ohne Dialektik? – bringt die Informierten dazu aus ihrer Erinnerungslosigkeit zu erwachen und Vergangenheit zu verstehen. Die Frage nach Kontinuität, der Versuch zu verstehen und die Ursachenforschung schlägt die Brücke aus der Geschichte ins Hier und Jetzt und stellt die Forderung, dass sich Vergangenes nicht wiederholt. Um es mit Theos Worten zu sagen: „Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie, die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.“

Aktives Erinnern gegen die informierte Erinnerungslosigkeit muss Kernelement eines jeden Antifaschismus sein und sowohl Fragen an die Vergangenheit, als auch Forderungen an die Zukunft beinhalten.

Die Unmenschlichkeit, sagte einst der französische Dichter Paul Valéry, hat eine große Zukunft. Beweisen wir, dass er damit Unrecht hat.