Die Festung Europa muss fallen!

Wir solidarisieren uns mit allen Aktivist*innen, die am Mittwoch dem 14.10. vor dem Rathaus unter dem Motto „Für ein unantastbares Recht auf Asyl! Die Festung Europa muss fallen!“ eine unangemeldete Kundgebung abgehalten haben.

Die Frage, wie mit den zugenommenen Migrationsbewegungen [zumeist Flüchtlingskrise genannt] umgegangen werden soll, wird viel diskutiert. Doch schon die Begrifflichkeiten mit denen diskutiert wird, lassen tief blicken. Allein die Worte „Flüchtlingskrise“, „Schlepper“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Aufnahmekapazitäten“ und „Asyl“ reihen sich ein bisschen weniger rechts neben „Überfremdung“ und „echte Deutsche“ ein. Sie sind Symptom und Reproduktionsfaktor einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtungsweise der Migrationsbewegungen.
Diese Betrachtungsweise speist sich aus einem ganz unverhohlenen Rassismus, mit deutscher Blut-und-Boden-Ideologie vom ultrarechten Rand und zieht sich bis in die bürgerlichen Medien, in denen fleißig gefordert wird, Menschen direkt an der Grenze abzuschieben, ohne den konkreten Asylantrag überprüft zu haben. Am einfachsten ist der tief in der Mitte der Gesellschaft verankerte Rassismus zu erkennen, wenn sich bei der Unterscheidung zwischen „guten politischen Flüchtlingen“ und „bösen Wirtschaftsflüchtlingen“ der Wahn bahnbricht, dass Menschen auf Gedeih und Verderb ihrem Geburtsort verpflichtet seien.
Um diesem Diskurs entgegenzuwirken müssen eigene Begrifflichkeiten etabliert werden, welche den bisherigen zuwiderlaufen und eine radikale Kritik der Verhältnisse beinhalten. Begriffe wie „die Festung Europa“, „Vertriebene“, „Grenzregime“ und ähnliche müssen deutlich machen, dass das Problem die bestehenden Verhältnisse sind, welche zu Tod, Vertreibung und Verarmung in verschiedensten Regionen führen. Nicht Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ihre Heimat verlassen (müssen), weil sie dort für sich keine Hoffnung mehr sehen, sind das Problem, sondern ein System, welches sie nur nach Verwertbarkeit einordnet und zur Selbstausbeutung zwingt.
Der Versuch Begrifflichkeiten wie „Festung Europa“ zu etablieren, kommt auch inhaltlich nicht von ungefähr. Selbst bis in die bürgerlichen Medien schwappt der Ton der Entrüstung über die unzähligen Todesopfer, die die Migration nach Europa fordert. Lampedusa ist zum Symbol für sinnlose Tode und menschenunwürdige Unterbringung in Lagern im Bewusstsein der Wohlhabenden geworden. Ungestört davon, sorgt der rassistische Minimalkonsens¹ in der Gesellschaft für immer weitere Formen der Fremdenfeindlichkeit und die Europäische Gesetzgebung, die sich Woche für Woche verschärft, tut das ihrige dazu.
Expansion und der unbedingte Zwang zu wachsen sind Mechanismen, die der Kapitalismus erzeugt. Konkurrenz erzeugt Krisen des Menschlichen und Ökonomischen, Flucht und Migration sind die logischen Folgen². Wir setzten uns dafür ein, dass jeder Mensch dahin gehen kann, wo er oder sie will – ohne Zwang zu fliehen. Die unfreiwillige Migration steht dabei unserer Forderung nach bedingungsloser Bewegungsfreiheit diametral³ entgegen. Nicht die Bewegung von einem Land in das andere ist das Problem, (denn eine solche Denkweise folgt aus rassistischem Gedankengut), sondern der Zwang, diesen oder jenen Ort als Lebensraum zugewiesen zu bekommen, stellt einen Widerspruch zur Selbstbestimmung dar, die wir für alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen oder politischen Zugehörigkeit fordern. Und schon die Rede von Ethnien, Kulturräumen, usw. erzeugt eine Denkweise, die zu Ausschließung führt. Die Konstruktion von Wir-Gruppen, und darin liegt eines der Probleme, erfolgt zumeist nicht aus der Gruppe selbst, sondern ist eine Fremdzuschreibung und die Rede von „denen da“ steht für die Unterstellung, es gäbe eindeutig definierbare Gruppen, die sich in äußeren Merkmalen kenntlich machen. Viel zu viele Menschen entpuppen sich so als besorgte Bürger, die die Angst vor Überfremdung als legitime Kritik an der Asylpolitik betrachten. Da solche Überzeugungen nicht argumentativ fundiert sind, sondern auf fremdenfeindlichen Ressentiments beruhen, trifft unsere Kritik nicht Einzelpersonen, sondern die gesellschaftliche Stimmung, die Hässlichkeiten wie Pegida oder die CDU entstehen lässt.

Es ist wichtig das innerhalb des aktuell stattfindenden Diskurses libertäre Positionen vertreten und diskutiert werden. Solidarität muss praktisch werden – wir rufen dazu auf, öffentliche Räume zu besetzten und auf diese Weise Inhalte in den Diskurs zu tragen!

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¹ Rassistischer Minimalkonsens: Wir übernehmen hier (oder glauben das zu tun) die Begrifflichkeit „rassistischer Minimalkonsens“ des Antifa AK Cologne. Diese soll ausdrücken, dass es in unserer Gesellschaft diverse rassistische Tendenzen unterschiedlicher Ausprägung gibt. Der „minimale“ Rassismus, auf den sich die öffentliche Meinung immer einigen kann, teilt Migrant*innen in die Kategorien „nützlich“ (d.h. gebildet, verwertbar für den hiesigen Arbeitsmarkt) und nutzlos (nicht verwertbar) ein. Damit unterliegt ein*e Migrant*in einer Bewertung, die an Eingeborenen nicht vorgenommen wird. Anhand dieser Bewertung wird dann festgelegt ob die Person bleiben/herkommen darf/sollte oder eben nicht. Damit werden die Eigenschaften einer Person und nicht die Person selbst zum Träger des „gefühlten Rechts“ des feisten Deutschen. Die Einteilung in nützlich und nicht nützlich entmenschlicht also und ist als rassistisch einzustufen. Es herrscht somit von vorne herein ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung von Menschen. Und konsequenterweise müssten alle Menschen sich, wenn schon in Verwertungsparametern gedacht wird, der Überprüfung ihrer Nützlichkeit unterziehen. Das passiert offensichtlich nicht und die beknackten Deutschen ruhen sich unreflektiert auf ihren unverdienten Privilegien aus. Die Pisser.

² Eine genaue Analyse, warum dies so ist, würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Ganz allgemein empfehlen wir Marx‘ ökonomische Analyse als Grundlage für eine dezidierte Kapitalismuskritik.

³ genau gegensätzlich/gegengesetzt